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Reisebericht: Bretagne

geheimnisvoll umwitterte Dolmen sind das Kennzeichen der Bretagne

geheimnisvoll umwitterte Dolmen sind das Kennzeichen der Bretagne

VANNES (20. Juni 2003) – Auch wenn es inzwischen nach der Cote d´ Azur das beliebteste Reiseziel in Frankreich ist: es gibt in Europa wohl kaum ein geheimnisvolleres Land als die Bretagne. An der Westküste Frankreichs gelegen, birgt das „Land der Megalithen“ Geheimnisse menschlicher Urzeitkulturen, die bis heute den Archäologen mehr Geheimnis denn Verständnis bieten. Von ca. 5.000 bis rund 1.800 v.Chr. entwickelte sich in diesem Landstrich eine sich bis heute kaum erforschbare Hochkultur des Neolithikums, die uns Dolmen, Menhire, Chromlechs (Steinkreise) und Allignements (Steinalleen) hinterließ. Heute geht man davon aus, dass diese Steinsetzungen religösen Zwecken und dem Totenkult dienten (in Anlehnung an die Hügelgräber der neuzeitlichen Wikinger). Doch ob dies wirklich ihr Sinn und Zweck war, werden wir wohl nie erfahren… Wir erforschen die Bretagne mit seinen Kernlanden Finistere und Morbihan seit rund 10 Jahren und sind jedes Mal wieder auf Neues – meist geheimnisvolles – gestoßen.

mittelalterliche Städte wie Vannes mit mehr als 2.500 jähriger Geschichte (hier der Stadtgraben) prägen die Bretagne

mittelalterliche Städte wie Vannes mit mehr als 2.500 jähriger Geschichte (hier der Stadtgraben) prägen die Bretagne

Seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts hat allerdings der Massentourismus auch hier Einzug gehalten. So sind die Steinreihen von Carnac wegen Zerstörungswut der Besucher inzwischen seit mehr als 10 Jahren komplett eingezäunt und nicht mehr begehbar wie so viele andere dieser kulturhistorischen Monumente auch. Selbst der Point du Raz, Frankreichs westlicher Punkt (eine bei Sturm und Wind berauschende Felsnase im Atlantik) ist inzwischen durch ein großes „Autoauffanglanger“ (Preis 2006 mit 5 Euro je PKW, die dortige Gemeinde erfuhr durch diese Geldeinnahmen einen ungewohnten Geldsegen, der sich in neu geteerten Straßen und -beleuchtung niederschlägt) abgeschirmt und kann nur noch auf festen Wegen in all seiner Rauheit erlaufen werden (was aber zur Rettung der Natur vor den wilden Horden der Touristen sinnvoll wurde!).

Yachten, Segel- und Motorboote so weit das Auge reicht... hier an der Mündung der Odet bei Benodet.

Yachten, Segel- und Motorboote so weit das Auge reicht… hier an der Mündung der Odet bei Benodet.

Auch viele einstmals malerische, doch auch verkommene und verlassene Fischerdörfer entlang der Küsten wurden vom Tourismus überrollt – Einheimische wurden zur Seltenheit, die zerfallenen Häuser frisch gerichtet und zu teuren Ferienhäusern für die Hochsaison (Juli und August) umfunktioniert – im Winter ist die Küste dagegen eine einzige Geisterlandschaft. Wohnungen und Häuser (die bekannten historischen Steinhäuser) erreichen auf dem Immobilienmarkt fast Preise wie im Zentrum von Paris und damit ein Niveau wie in anderen europäischen Großstädten, Grund und Boden für die meisten Bretonen wird entlang der Küsten unerschwinglich.

ein Menhir (in Asterix-Deutsch auch "Hinkelstein"), hier der "Gigant von Manio

ein Menhir (in Asterix-Deutsch auch „Hinkelstein“), hier der „Gigant von Manio

Mit der Jahrtausendwende verstärkte sich seither auch wieder der „Wiederstand“ gegen Pariser Verwaltungsentscheidungen und die Bretonen verweisen immer stärker auch ihre historischen Wurzeln. Mit Autoaufklebern „BZH“ läßt sich das Unabhängigkeitsstreben derzeit gut vermarkten. Angst vor Terroranschlägen – wie in Nordspanien im Baskenland durch die „Separatista“ – ist allerdings fehl am Platz. Derartige Brutalität wird hier seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr angewandt. Damit würden sich die Bretonen ihren neuen Wohlstand durch Tourismus zerstören und es enspricht auch nicht der Kultur der Einwohner. Da verlegt man sich lieber auf das Streiken (ähnlich wie die Italiener). Doch da die Städte der Bretagne meist nicht zu groß sind, kennt hier „jeder jeden“ – und wenn es dann um zweifelhafte Streiks in Zeiten des drohenden Zusammenbruchs der Sozialkassen für eine längere Lebensarbeitszeit der Beamten von 37,5 auf knapp 40 Jahre geht (und bei uns denkt man um eine Verlängerung von 65 auf 67 nach…), sind die Reihen der Streikwilligen doch recht dünn gesäht, es sei denn, man befindet sich in den „Metropolen“ der Region wie Brest, Lorient oder Rennes.

Beginn des Sonnenuntergangs am Pointe du Raz

Beginn des Sonnenuntergangs am Pointe du Raz

Ähnlich wie das Elsass genießt auch die Bretagne einen gewissen Sonderstatus in der Departmenpolitik der Zentralverwaltung in Paris. (Übrigens: das Verwaltungswesen haben die Franzosen erfunden – die Deutschen haben es nur noch ein wenig verfeinert…!). Um der Region mehr wirtschaftlichen Schwung zu bringen, wurden im Gegensatz zum Rest der „Grand Nation“ u.a. die Autobahnen von der Mautpflicht befreit. Und so gibt es in der Bretagne zwar keine richtigen Autobahnen, dafür aber sehr gut ausgebaute autobahnähnliche „Route Nationale“, die ein rasches Vorankommen sichern.

Die Bretagne besteht heute aus den Departements Côtes-d´ Armor (die rauhe Nordküste), Finistère (die geheimnisvolle Westküste), der Ille et Vilaine (der zentrale Ostteil) und dem Morbihan (der sonnigen und warmen Südküste mit der wunderschönen Insel Belle Ile). Von West nach Ost ist die Bretagne rund 250 Kilometer lang, von Nord nach Süd in ihrer Mitte sind es etwa 125 Kilometer Luftlinie. Und doch birgt diese geringe Entfernung so viel Unterschied.

das Gezeitenkraftwerk von St. Mail: 115 meter lang, Durchflussvermögen 9.600 cbm Wasser...

das Gezeitenkraftwerk von St. Mail: 115 meter lang, Durchflussvermögen 9.600 cbm Wasser…

Im Norden das wesentlich rauhere Ärmelkanalwetter und der wild zerklüfteten Felsküste und einem Gezeitenunterschied bis zu 12 Metern (sehenswert das Gezeitenkraftwerk bei St. Malo in der Rance-Bucht), im Westen das auch bei Sonnenschein so geheimnisvolle Finistère, in dem man sich trotz Straßen schnell um einige Jahrtausende zurückversetzt vorkommt; und im Süden stehen an den fein- wie grobkörnigen Sandstränden auch schon mal einige Palmen – Frost ist hier wegen des anbrandenden Golfstromes des Atlantik bis auf wenige „harte“ Winter mit Temperaturen um null Grad eine Seltenheit. Doch eines haben diese Regionen gemeinsam: den Wind! Der bläst aus westlichen Richtungen fast jeden Tag, nur im Hochsommer, wenn das Azorenhoch das Land verbrennt, ist bestenfalls eine kleines, laues Lüftchen zu verspüren.

neben dem Table des Marchands bei Locmariaquer war dies einst ein stehender Riese von mehr als 20 Meter Höhe

neben dem Table des Marchands bei Locmariaquer war dies einst ein stehender Riese von mehr als 20 Meter Höhe

Der Sommer in der Bretagne ist ein besonderes Erlebnis. Eigentlich befindet man sich hier bereits auf der Höhe bzw. westlich der englischen Südhafenstadt Plymouth. Doch während die Engländer sich eine Zeitzone weiter westlich befinden, haben die Bretonen die einheitliche westeuropäische Sommerzeit. Und so geht die Sonne im Sommer morgens je nach Standort erst zwischen 6 und 7 Uhr auf und abends zwischen 22 und 23 Uhr unter. Im Finistère ist es also selbst Ende Juni um Mitternacht noch dämmrig, was das bereits erwähnte geheimnisvolle Erleben dieses Landstriches noch fördert. Die Laster unserer Industriegesellschaft gingen und gehen aber auch an den Bretonen nicht ohne Folgen vorbei: 1978 strandete der Öltanker „Amoco Cadiz“ an der Einfahrt zum Ärmelkanal und ließ mehr als 200.000 Tonnen Rohöl im Meer und an den Felsen. Noch heute sind hier einige Felsen durch den Teer von damals verschmutzt. Auch der an Weihnachten 1999 südöstlich des Point du Raz gesunkene Öltanker „Erika“ hinterließ seine dreckigen Spuren (mehr als 12.000 Tonnen Öl) bis hinunter zur Ile d`Oleron (Gironde-Mündung). Auch im Jahre 2003 tauchen noch junge Männer in ölverschmierten Südwestern zwischen den schwarzen Felsen auf, die sich bemühen, während der Ebbe die Felsen zu schrubben, nur um 12 Stunden später wieder von vorne anfangen zu müssen, weil der nächste Ölbatzen angeschwemmt wurde. Im Gegensatz zu den Spaniern 2002 mit der „Prestige“ haben die Franzosen jedoch ein wenig mehr Organisationstalent bewiesen und so ist das Gross der Küste wieder mit seinen weitläufigen Stränden für die Badetouristen nutzbar.

im 18./19. Jhd. unter Robert Surcouf (1773-1827) berüchtigte Piratenfestung: St. Malo an der Nordküste

im 18./19. Jhd. unter Robert Surcouf (1773-1827) berüchtigte Piratenfestung: St. Malo an der Nordküste

Historisch gesehen hat die Bretagne ein Wechselbad der Völker und Herrscherhäuser hinter sich. Wie eingangs erwähnt, begann die Besiedelung der Bretagne vor rund 7.000 Jahren. Doch nur die Steinsetzungen erinnern noch an die unbekannte Hochkultur der Steinzeit, Wohnstätten dieser Urbretonen konnten bis heute nicht gefunden werden. Die ersten Wohnkulturen können bis maximal 1.800 v.Chr. zurückdatiert werden! Um 500 v.Chr. ließen sich die ersten Kelten auf der Halbinsel nieder und nannten den Landstrich Ar Mor (Land am Meer) – übrig geblieben ist dieser Name an der gleichnamigen Nordküste. Sie brachten die geistigen Führer, die Druiden, hervor – Nährboden für die Geschichten von Asterix, Obelix und Miraculix! Die Kelten waren untereinander allerdings zerstritten und so gab es fünf keltische Stämme, der mächtigste war der der Veneter (heute die Stadt Vannes). Dank dieses Stammes wurde die Bretagne den Römern in den Kriegen von 58 bis 56 v.Chr. nicht kampflos überlassen. Und so bewegt man sich am Golf von Morbihan und auf der Landseite der Halbinsel Quiberon auf historischem Kriegsboden – die entscheidende Seeschlacht zwischen Kelten und Römern fand hier statt. Wer gewann, ist hinreichend bekannt: „Ganz Gallien ist unterworfen….“. Die Römer waren bis 300 n.Chr. kulturbestimmend, doch die Piraterie der Germanen zu Land und zur See sorgten für den zunehmenden Rückzug der Latiner, die Zeit der großen Völkerwanderungen begann. Zuvor waren sie noch um befestigte Städte bemüht, doch auch die dicksten Mauern fielen den Plünderern zum Opfer.

Locronan (in der Nähe von Douarnenez im Finistère) ist die "betronische Variante" von Rothenburg/Tauber in Deutschland

Locronan (in der Nähe von Douarnenez im Finistère) ist die „betronische Variante“ von Rothenburg/Tauber in Deutschland

Ende des 5. Jhd. n.Chr. wanderten aus Irland die christianisierenden Kelten ein – die keltische Kultur ersetzte wieder die römische. Jedoch kamen die Kelten diesmal von den britischen Inseln und so setzte sich zunehmend die Bezeichnung „Britannien“ bzw. „Bretagne“ (Kleinbritannien) durch. Fast 1.000 Jahre dauerte es (1532), bis die heilos zerstrittenen Bretonen, gebeutelt durch innerbretonische Kriege und Streitereien wie auch durch angrenzende Königreiche in das französische Königreich eingegliedert wurde – wenn auch mit einem gewissen autonomen Status.

in den Salzgärten vor Guerande

in den Salzgärten vor Guerande – hier wird auch heute noch das „weisse Gold“ gewonnen

Die Bretagne erhielt sogar in Rennes ein eigenes Parlament (ab 1554), das bis 1789 zur französischen Revolution erhalten blieb. Die Eingliederung in die französischen Kernlande brachte den Bretonen im 16. und 17. Jahrhundert wohl den größten Wohlstand ihrer Geschichte. Tuchhandel, Handelsschifffahrt und Salzhandel mit dem „weissen Gold der Bretagne“ (Guerande) waren hierfür die Basis. Es waren auch Bretonen aus St. Malo, die 1534 über den Atlantik segelten – eigentlich auf der Suche nach neuen Fischgründen – und bei dieser Gelegenheit 1535 den Sankt-Lorenz-Strom und damit Kanada entdeckten. Die Religionskriege zur selben Zeit ließen die wirtschaftlichen Höhenflüge aber gleich wieder gründeln. Chaos zwischen Katholizismus und Protestantismus war an der Tagesordnung, als Krönung gab es mit König Ludwig XIII. auch noch Streit mit Paris, die zusätzlichen Steuern durch den nachfolgenden Sonnenkönig grenzten schier an Ausbeutung.

weltberühmt ist das Ozeaneum in Le Croisic südlich von Guerande

weltberühmt ist das Ozeaneum in Le Croisic südlich von Guerande

Parallel dazu wurden die Häfen der Bretagne durch königliche Militärs (Brest) und Freibeuter (St. Malo) ausgebaut und zu berüchtigten Seefestungen im französischen Königreich. Doch im Hinterland kehrt das Elend ein, die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts ging vollkommen an der Halbinsel vorbei. Alles, was den Bretonen blieb, waren die jederzeit gefragten Seehäfen, egal ob internationaler Seehandel oder einfacher Küstenhandel. Die Bretagne selber blieb ein Landwirftschaftsgebiet ohne Industrie. Zu allem Überfluss wurde 1941 das Departement Atlantique-Loire von der Bretagne „aus wirtschaftlichen Gründen“ abgetrennt. Erst Ende des 20. Jahrhunderts blühte die Halbinsel auf: durch massive Förderung durch Paris (Straßenbau ab 1968), die Anbindung an das TGV-Netz 1988 und der regionale Flughafenverkehr ab Ende der 90er Jahre kurbelten lokale Industrieunternehmen wie auch den Tourismus massiv an. Die vielfach natürlichen Häfen der Flussmündungen wachsen derzeit zu riesigen Segelschiff- und Yachthäfen an. Bei Fortsetzung des Massentourismus allerdings droht der Bretagne der Verlust der Besonderheit und wird wohl als „ein Ferienziel von vielen“ enden.

© Text und Fotos (1994 bis 2019) Hans-Martin Goede – gerne erfragen Sie weiteres hochauflösendes Bildmaterial aus unserer umfangreichen Datenbank, wir lizensieren Ihnen gerne gewünschte Motive. Einige gibt es auch bei AdobeStock HIER.