28.08.2003 – Am 01. Mai 2004 wird die Europäische Union um die süd- und osteuropäischen Länder Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slovenien, Zypern und Malta erweitert. Doch die größte Aufmerksamkeit wird den baltischen Staaten und: POLEN gewidmet. Unendlich weit ist dieses Land östlich der Oder, weit, weiter am weitesten. Tannenwälder, dazwischen Getreidefelder bis zum Horizont und vor einem eine “Autobahn” – zweispurig mit Gegenverkehr und Randstreifen, Spurrillen bis 15 Zentimeter Tiefe und gewagte Überholmanöver. Nichts für schwache Nerven und tiefergelegte Westautos… Polen ist ein Land im Umbruch und wenn man sich versucht vorzustellen, wenn es die Deutsche Wiedervereinigung, den Soli, Westmark und später den Euro nicht gegeben hätte: so sähe wohl heute auch die “DDR” nach der Wende als selbständiger Staat aus. Marode Straßen, Westautos (die alten Trabis und Fiat Polski sind die Ausnahmeerscheinung), LKW-Kolonnen, zerfallene Häuser, dazwischen Bauruinen, zusammenorganisierte Häuser und als Augenfang auch neue westliche Villen mit allem Schnickschnack.
Seit 1989 Polen mit dem friedlichen Umsturz zusammen mit Ungarn das Ende des Sozialismus begründet hat, ist dieses Land zwischen Hoffen und Bangen an sich selber gewachsen. Der Tourismus kommt langsam in die Gänge und die Highlights wie die alten – im zweiten Weltkrieg meist zerstörten – Innenstädte wurden detailgetreu und der Tradition verhaftet wieder aufgebaut, egal ob Warschau, Posen, Breslau, Thorn oder Danzig. Wären hier nicht die polnischen Schriften, man käme sich vor wie in jeder anderen europäischen Tourismusgegend! Polens Trumpf in der Hinterhand sind die tausenden von Seen mit einem ungemeinen Fischreichtum, die vielfach auch als Badeseen mit Ferienhäusern und Campingplätzen genutzt werden. Für deutsche Verhältnisse kann man in Polen sehr günstig in den Restaurants essen gehen, für 4 Personen sind meist weniger als 100 Zloty (ca. 25 Euro) fällig (in den Supermärkten gibts noch Bananen für umgerechnet 25 Cent das Kilo, aber das wird die EU in 2004 sicherlich schnell ändern…!).
Bei den derzeitigen Straßenzuständen empfiehlt es sich, nicht allzulange sich an einem Ort (z.B. Ferienhaus) einzumieten. Denn 200 Kilometer sind nicht wie in Deutschland in 90 bis 120 Minuten zu bewältigen – Straßenzustand und dichter Lastverkehr machen daraus in der Regel 3 bis 4 Stunden! Polens wechselvolle Geschichte brachte es mit sich, dass weite Landesteile erst nach dem zweiten Weltkrieg dem Land “zugeteilt” wurden – wie z.B. Pommern. Im 13. Jahrhundert besiedelter der Deutsche Orden weite Landesteile zwischen Stettin und der kurischen Neerung, Hauptsitz dieses eigenständigen Staates wurde 1309 Malborg – Marienburg. Diese gigantische Burganlage ist so groß wie 20 Fußballfelder und wurde nach ihrer Zerstörung 1945 komplett wieder aufgebaut. Der Tourismus ist entsprechend angekurbelt, nur warum für tausende von täglichen Besuchern lediglich eine Kasse vorhanden ist, die Warteschlangen von bis zu 2 Stunden verursacht, bleibt uns ein Rätsel. Deutsche Führungen finden in der Hauptsaison alle zwei Stunden (11, 13, 15 und 17 Uhr) statt und dauern je nach Gruppengröße bis zu drei Stunden!
Eigentlich nur einen “Katzensprung” (wenn diese Straßen nur besser wären…) entfernt jenseits der Weichsel liegt Gdansk – Danzig. Die alte Hansestadt erstrahlt in der City im Glanz der alten Zeit. Kaum zu glauben aber wahr: diese Stadt ist urpolnisch und war in ihrer Historie selten in einem deutschen Staat beheimatet! Danzig ist heute das Mekka der Bernsteinsucher. Nirgends findet man soviele Bernsteinhändler wie hier. Die alten Hausfassaden sind Nebensache, was zählt sind die farbenprächtigen Steine aus Baumharz, das “Gold der Ostsee”. Für westeuropäische Verhältnisse sind die Schmuckstücke preiswert, jedoch sollte man diese nicht unbedingt am alten Hafenkai oder in der Ulica Mariacka erwerben sondern eher auf der Ulica Dluga Richtung Goldenes Tor (nur so als Schottentipp am Rande…!). Pflichtkür in Danzig ist die Marienkirche – Europas größte Backsteinkirche (1945 in Schutt und Asche erstrahlt sie heute wieder in ihrem alten Glanz). Rund 250 Kilometer südlich von Danzig thront über der Weichsel Torun (Thorn), die Geburtsstadt des Astronomen Nikolaus Kopernikus. 1233 von den Rittern des Deutschen Ordens gegründet blieb eigentlich nur die norddeutsche Architektur erhalten, man könnte genausogut in Lüneburg stehen… Pflicht sind neben der alten Befestigungsanlage am Fluss mit dem “schiefen Turm von Torun” noch das Kopernikushaus und vor allem die Jakobskirche mit ihren Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert. In der Marienkirche befindet sich Polens ältester Orgelprospekt aus dem 16. Jahrhundert – schwer hängt dieses dunkle musikalische Holz mit seinen Orgelpfeifen an den Pfeilern der Kirche. War in Danzig der Bernstein prägend, so ist in Torun das Silberhandwerk zuhause. Juwelier um Juwelier reiht sich aneinander, ein jedes Frauenherz schlägt hier höher und wir waren um einige Zlotys ärmer… Aber wie in Danzig gilt auch hier: Preise vergleichen und erst dann zuschlagen, wenn der Glanz am Hals am schönsten glitzert…
Eiserne Faustregeln für Polen sind: innerorts nicht schneller als Tempo 60, Überland maximal 90 und auf den “Autobahnen” bestenfalls Tempo 100. Die polnische Polizei ist allgegenwärtig mit ihren Radarpistolen und hat es besonders auf Autos mit deutschen Kennzeichen abgesehen. Dies ist aber nicht als Abzocke zu sehen sondern eher als Kampf gegen den Autoklau – denn Polen ist und bleibt nun mal Europas größter PKW-Schmuggelplatz. Wer ein mittelaltes oder nagelneues Auto aus deutscher Produktion hat, sollte vorsichtig sein und ausschließlich auf bewachten Parkplätzen parken und 5 bis 10 Zloty dafür investieren. Angesichts des katastrophalen Straßenzustandes und der hohen Diebstahlquote (die allerdings niedriger ist als in Berlin!!!) wäre es zu überlegen, mit einem Mietwagen nach Polen zu fahren. Wenn das Auto weg ist, ruft man an und erhält ein Neues – und die eigenen Stoßdämpfer leben einige Jahre länger… Polen ist mehr als eine Reise wert, allerdings muss man vom westlichen Tourismusstandard einige Abstriche machen und sich darauf einrichten, Urlaub wie vor 20 bis 30 Jahren zu machen (speziell gilt dies für die ländlichen Gegenden!). Mit dieser Voreinstellung kann einem der Urlaub bei unserem östlichen Nachbarn ziemlich kurz vorkommen und es bleibt das Vorhaben “wir kommen wieder!”
Mehr Infos zu Polen (in Englisch) im Internet unter http://www.poland.pl
© Text&Fotos: Hans-Martin Goede, Stuttgart