Slow Travel auf der Insel Læsø
24. Juni 2011 – Mitsommer: lange Tage und kurze Nächte – mag man meinen – sind für Skandinavien ein Garant für Urlaubsimpressionen zwischen dänischem Möbeldesign und schwedischem Einrichtungshaus.
Doch was wäre, wenn nur ein leichter Wind über Felder und Wälder streicht, der Kuckuck ruft, Fliegen summen, Bienen fleissig Pollen sammeln, die Sonne trotz lediglich 18 (bzw. gefühlten 25) Grad vom Himmel sticht, dass ohne einen Hut und Sonnensalbe mit Schutzfaktor 25 die Hautbräune zwischen krebsrot und rostbraun ihren Farbton sucht, wenige Straßen aus Teer, Schotter und Waldwegbelag den Verkehr unscheinbar zwischen Schritttempo und mittlerer Windgeschwindigkeit regeln, die Häuser zwischen Fischerkate mit Tang- oder Reetdach aus dem 18. Jahrhundert und durchgestylten vier Wänden mit Dach auf unendlichen Grundstücken schwanken, man sich an der Küste fragt, ob man an der rauen Nordsee, der behäbigen Ostsee oder einfach nur an einem beschaulichen Seeufer mit Schilf sich befindet… ja dann ist man auf einem Eiland angekommen, gerade mal mit 100 Kilometer Küstenlänge gesegnet, einer flachen Erhebung im Meer zwischen Skagerrak und Kattegat: Læsø war einst das Zentrum der Salzherstellung in Nordeuropa, heute ist dieser Flecken Erde Sinnbild für das notwendige Entschleunigen der Leistungsgesellschaft.
Angekommen ist man, wenn man morgens um kurz vor 9 Uhr sich in Byrum, dem zentralen Ort der Insel, fragt, ob jemand schon aufgestanden ist. Denn auf der Ortsstraße sind neben Vögeln nur die Feldhasen zu sehen – und das unscheinbare Lichtlein hinter dem Fenster des Bäckers, das einem „frische Rundstücke“ signalisiert – und das auch nur deshalb, weil irgendwelche joggenden Touristen mit einer Brötchentüte bewaffnet den Hasen aufscheuchen – und dieser sich nach dem Passieren der Straßenmitte wieder mümmelnd umdreht um den sportlichen Zweibeinern nachzublicken.
Es braucht durchaus seine Tage, um sich dem Rhythmus der Insulaner anzupassen, man das überholen anderer Autos sein und diese rasche Beschleunigung dem flotten Inseltaxi überlässt – oder dem Inselpolizisten wie der freiwilligen Feuerwehr. Auf den Parkplätzen der „Klitplantage“ oder am „Danzigmand“ ist man rasch ob der „Menschenmassen“ (also alles ab mehr als vier Personen) geneigt nicht auszusteigen sondern weiterzufahren, der nächste menschenleere Parkplatz ist nicht weit…
Selbstverständlich ist den Inselbewohnern ihr eigener Flohmarkt: nein, nicht nur einmal die Woche auf der Zentrumswiese von Byrum! Beinahe an jedem Haus, ja jedem Hof steht ein kleines, meist selbstgebasteltes Häuschen, befüllt mit Spielzeug, Kaffeetassen, Tellern, Kleidung und aus Sicht eines Städters auch anderem Tand, dazu ein Kässlein mit Wechselgeld. Sorge beklaut zu werden hat hier keiner, man kennt sich – und seine Touristen.
Dänische Sozialkontrolle: Jeder passt auf jeden auf. So können es auch nur gewissenlose Fremde gewesen sein, die in einem einsamen Moment an der Horneks Landspitze in der Vogelhütte den Videorekorder mit dem Film über die Insel-Tierwelt aus der Halterung gebrochen und mitgenommen haben. Man spürt mit jedem Wort am angebrachten Zettel die Fassungslosigkeit der Komune – damit hat man nicht gerechnet.
Die Komune Læsø mit den Orten Vesterø (Fährhafen) Byrum (Einkauf und Verwaltung) und Osterby (Fischereihafen) unternimmt viel, um das Inselleben den Touristen so angenehm und „aufregend“ wie möglich zu gestalten. Jedes Jahr erscheint ein mehrsprachiger Prospekt mit den Angeboten der Hotels, den Geschäften wie den touristischen Highlights. So kann man zwischen Saltsyderiet, Uldstue (immerhin mit einem Webshop), Glasbläserei und Museumsbauernhof seiner anspruchsvollen Rastlosigkeit nachgehen – und nach getanem Stress in das læsøntschleunigen versinken, einem Zustand von Seele baumeln lassen und einfach nur die Ruhe genießen.
Bis man eines morgens zweifelnd aufsteht und nach Vesterø Havn fährt: ein Schiff wird fahren, dem Festland entgegen, mit kostenlosem WLAN ausgestattet und einem gekennzeichnetem Ruheraum, in dem nur antiautoritär erzogene deutsche Touristen mit piepender PlayStation, klingelndem Mobiltelefon und lauten und nicht gerade anspruchsvollen Gesprächen negativ auffallen. Man selber ist sehr still, versucht innerlich abzuschalten, spricht kein Wort – oder flüstert miteinander auf Englisch (oder wenn man es gelernt hat am besten auf dänisch), nur um nicht als „Mit-Deutscher“ aufzufallen. Wann geht nochmal wieder die Fähre zurück nach Læsø?
Unser Tipp für alles über Læsø im Netz:
www.laesoe.dk
www.visitdanmark.dk
© 2011 Hans-Martin Goede