POMEROL (© hmg 10.09.2015) – Saint Emilion ist und bleibt das Zentrum des „Grand Cru“ – doch der einst ruhige und beschauliche Ort zwischen Perigueux und Bordeaux hat sich aus unserer Sicht in den letzten Jahren sehr negativ entwickelt: Auch hier (wie schon in Bergerac bzw. an der Dordogne im allgemeinen) regelrechte Fressmeilen, dazu reiht sich eine Wein-Boutique an die andere, Herren mit Pomade im Haar und Schwarzen Anzügen sollen Hochwertigkeit austrahlen – ein paar Flaschen sind geöffnet und ansonsten ist man von der schieren Auswahl überfordert.
Nach einer Runde durch den Ort, einem Petit Café in einer nachweislich bereits seit längerer Zeit angesiedelten Bar, haben wir den Ort verlassen, dessen Parkplatzangebot die Nachfrage nach Stellplätzen selbst in der Nebensaison weit übersteigt und sind ins Umland gefahren. Leider hatte der Weinhändler unseres Vertrauens an der D243 Richtung Libourne an diesem sonnigen Nachmittag geschlossen weil gerade ein Neureicher seine Flaschen bei ihm mit eigenem Etikett abfüllen lässt (und infolge dessen für die „Laufkundschaft“ kein Personal da ist) – und so wendeten wir uns einer namhaften Weinregion zu, die gleich an Saint Emilion angrenzt: Pomerol!
Von der Region sind die edelsten Tropfen bekannt, bewußt und auch bei uns persönlich beliebt – mit einer Karte der Genossenschaft im Ort Pomerol frisch bewaffnet mit Markierung der Weingüter, die eine direkte Verkostung wie Verkauf anbieten, machten wir uns also auf die Tour – ohne Krawatte, Anzug & Lackschuhe sondern in kurzer Hose, Shirt und Kreditkarte in der Hand. Wir verkosteten uns durch die Jahrgänge – und wurden vor allem auf dem Chateau Bellegrave fündig! Warum wir gerade dieses Weingut hervorheben? Nun – die Familie Bouldy hat die letzten Jahre konsequent den Weinbau auf Bio umgestellt, verzichtet seit Jahren auf jeglichen Einsatz von Chemie & Zusatzstoffen.
Die neue Lagerhalle ist aus naturbelassenem Holz und Lehm erbaut worden, die Eichenfässer ebenso aus unbehandeltem Holz gefertigt. Stolz führt uns der Sohn der Winzerfamilie durch die Räume der Weinproduktion, erzählt in einem Wechsel aus Englisch und Französisch die Geschichte der Familie. Noch der Großvater hat den Weinbau rein mit Pferden und Handarbeit aufgebaut – heutzutage hilft modernste Technik. Die Weingärung geschieht jedoch noch heute in jahrzehntealten eingemauerten Holzfässern (wenngleich auch mittlerweile neuere Stahltanks zur Verfügung stehen, die aber mehr Arbeit und Kontrolle erfordern als die alten Fässer!). Doch auch die Holzfässer wurden inzwischen „digitalisiert“ und werden per Computer überwacht.
Die Weinreben rund um Bellegrave sind seit über 10 Jahren nicht mehr chemisch befreit von Unkraut sondern grün wie naturbelassen. Nicht erwünschte Pflanzen werden maschinell, aber auch von Hand mit Hacke und Spaten entfernt. Dennoch gelingen der Familie Bouldy hervorragende Tropfen – der 2010er Jahrgang knüpft nahtlos an das außergewöhnliche Jahr 2005 an. Allerdings wird vom Junior des Hauses empfohlen mindestens noch bis 2017 mit dem Entkorken der Flaschen zu warten. Nun… mal sehen wie lange wir das aushalten. Ist ja „erst“ 2015. Und am Ende hängt auch alles vom eigenen Keller und der Lagerqualität ab. Santé!
Und der Sohn der Winzerfamilie? Er, Jean-Baptiste, wird wohl in die Fußstapfen von Großvater und Vater steigen – aber sein größter Wunsch ist erstmal nach Neuseeland zu gehen um dort den Winzerkollegen über die Schulter zu schauen. Problem ist letztlich seine Schule, in der er für die Weltreise englisch lernen will: „Weinbau auf Englisch“ bedeutet soviel wie „Good morning everybody! Well, aujourd’hui, nous parlons de la culture du vin!“, der Lehrer wechselt nach der Begrüßung direkt ins Französische…
© Text&Fotos Hans-Martin Goede – wenn Sie hochauflösendes Bildmaterial zur Region St. Emilion/Pomerol suchen nehmen Sie einfach mit uns Kontakt auf!