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Berchtesgaden – Alpinismus contra Massentourismus

Berchtesgaden - im Hintergrund linker Hand das Tal des Königssee, rechter Hand der Watzmann

Berchtesgaden – im Hintergrund linker Hand das Tal des Königssee, rechter Hand der Watzmann

Berchtesgadener Land (© hmg) – Wenn man erstmals nach nahezu 40 Jahren wieder in eine Urlaubsregion fährt, die man als Kind kennengelernt und zuletzt gesehen hat, prallen Erinnerungen aus der Kindheit und fortschreitender Massentourismus des 21. Jahrhunderts aufeinander. Früher… da hat man als Kind von den Eltern beim Urlaub in den Alpen festes Schuhwerk an die Hand und nach genügend Quengeln auch eine Lederhose verpasst bekommen. Man stand um 4 Uhr morgens begeistert auf, um nach stundenlanger Kraxelei mittags auf 2400 Meter hohen Gipfeln mit einer Handvoll anderer Bergsteiger zu stehen – da fühlte man sich „groß“. Man fuhr in die Eisriesenwelt in Österreich um frostige Luft mit Atemwolke mitten im Sommer sehen zu können – und nach Berchtesgaden um das Salzbergwerk zu erkunden um den Geschichten der Bergleute zu lauschen. Und heute? Heute ist diese Art des Urlaubs wohl eine aussterbende Gattung.

Der "Berg der Berge" im Berchtesgadener Land: Der Watzmann

Der „Berg der Berge“ im Berchtesgadener Land: Der Watzmann – bzw. mit Watzfrau und Watzkindern…

Denn „heute“ soll die Eisriesenwelt südlich von Salzburg gemäß Webseite 24 Euro pro Nase kosten (war es damals auch schon so teuer?!), auf die Berge der Alpen gondeln aller Orten Seilbahnen die Touristen mit nahezu ausschließlich absolut falschem Schuhwerk, erschreckenden Umgangsformen wie fehlendem Charakter nach oben um die Bergwelt und ihre Faszination zu „erleben“. Früher legte man auch noch Wert auf „die Natur bewahren“ und verließ den Pfad nicht, heute trampeln die Touristenmassen sinn- und gedankenlos auch abseits der offiziellen Wege.

"Salzerlebniswelt" ... der Name ist nicht Programm. Das Angebot der "Einfahrt" wurde extrem komerzialisiert, der Zauber von "früher" ist vergangen

„Salzerlebniswelt“ … der Name ist nicht Programm. Das Angebot der „Einfahrt“ wurde extrem komerzialisiert, der Zauber von „früher“ ist vergangen

Und im Salzbergwerk in Berchtesgaden erzählt heute kein Bergmann mehr seine Erlebnisse über die Arbeit im Berg und ihre Gefahren. Und gerade das versinnbildlichte lange Jahrzehnte die Erinnerung an den Salzbergbau in Berchtesgaden, dessen Salz man als „Bad Reichenhaller“ weltweit kennt und zu schätzen weiss. „Heute“: Einfahren in den Berg im Fünfminutentakt, statt Erzählungen ein etwas lustlos wirkender „Bayer“ (zweisprachig mit bayerisch und bayerisch-englisch) in Bergmannskleidung, dessen hauptsächlicher Sprachschatz aus „wir haben hier mal eine Animation für sie vorbereitet“ besteht und alle paar Meter das Knöpfchen dafür drückt. Der Film (so er überhaupt einen Erzähler hat und nicht nur eine musikalische Untermalung für die „Lichtshow“ ist) „erläutert“ den Salzbergbau verständlich nur für die, die sich vorinformiert haben oder früher – vor langer Zeit – noch die „alte“ Führung erlebt haben und die Geschichten der Bergleute verinnerlicht haben. Ah, Entschuldigung – es ist ja auch nun die „Salzerlebniswelt“. Deshalb wohl auch mehr Lichtspiele als Erklärungen. Sorry, für 16,50 Euro Eintrittspreis darf man mehr erwarten, liebe „Südwestdeutsche Salzwerke AG“! Wenigstens eines ist aus „der guten alten Zeit“ im Salzbergwerk dem Besucher geblieben: die (automatisch durch eine Lichtschranke erstellten) Bilder von der Rutsche in die Unterwelt.

mit das bekannteste Postkartenmotiv Deutschlands: St. Bartholomä am Königssee

mit das bekannteste Postkartenmotiv Deutschlands: St. Bartholomä am Königssee

Berchtesgaden bzw. das Berchtesgadener Land als „Insidertipp“? Nein, das ist es wahrlich nicht mehr. Ein Blick auf die offziellen Zahlen zeigt: Bei mehr als 811.000 Gästen mit mehr als 3,6 Millionen Übernachtungen pro Jahr (2016) ist man nicht mehr eine ruhige Urlaubsgegend – das ist im Vergleich zu 2010 (407.000 Gäste) eine Verdoppelung! Allerdings sank auch die Dauer der Übernachtungen binnen zehn Jahren deutlich: von 5,75 auf aktuell 4,49 Nächte. Wenn im Sommer am Königssee an St. Bartholomä an der Uferpromenade pro Tag bis zu 6.000 Menschen flanieren, kann man nur froh sein, dass die Schiffe – seit sie 1909 in Betrieb genommen wurden – ohne Unterbrechung per Elektromotor auf dem See und damit ökologisch bzw. umweltschonend im Nationalpark unterwegs sind.

in Schönau starten die Elektroschiffe zur Rundfahrt auf den Königssee

in Schönau starten die Elektroschiffe zur Rundfahrt auf den Königssee

In 2017 kann man als „Insidertipps gebender Besucher“ gerade noch auf die Zeit „zwischen den Hochsaisons“ verweisen: also zwischen Spätsommer und Wintersaison irgendwo in der zweiten Oktoberhälfte. Dann begegnet man „nur“ vielen Asiaten, vielen Osteuropäern, vielen Norddeutschen – und wenig „normalen“ Touristen. Die meisten haben ein und dasselbe Problem: Sie kennen sich nicht mit den Gepflogenheiten vor Ort aus (weil man sich nicht vorinformiert), verfügen nicht über vernünftiges Schuhwerk für die Bergwelt sowie sind sie vielfach im Tiefflug durch die Kinderstube (gibt´s da seit neuestem eine spezielle „Ausbildung“ für?). Arbeiten in der Tourismusbranche in Berchtesgaden? Wahrlich kein Traumberuf. Zudem: Die digitale Smartphone-Erlebniswelt ist allgegenwärtig – man kommt ungefragt und ungewollt den ganzen Tag über auf gefühlt zigtausend Fotos wie Filme für die „Freunde“ Anderer in den „sozialen“ Medien. Man gerät ernsthaft ins Grübeln, ob auch nur einer dieser Mitmenschen bewusst diese einzigartige und wunderschöne (Alpen-) Landschaft wahrgenommen hat. Gegen Fotos hat man ja nichts einzuwenden – aber dann doch bitte mit Sinn und Verstand?

das Dokumentationszentrum Obersalzberg - eine gut aufbereitete Ausstellung über die "Alpenfestung" der Nazis

das Dokumentationszentrum Obersalzberg – eine gut aufbereitete Ausstellung über die „Alpenfestung“ der Nazis

Man darf sich auch sicher sein – den meisten ist es nicht bewusst, dass man sich hier auf historischem Boden bewegt. Denn oberhalb von Berchtesgaden liegt der „Obersalzberg“, in den 1920er Jahren von einem „österreichischen Gefreiten“ entdeckt, den er als Diktator Adolf Hitler von 1933 bis 1945 neben Berlin zur zweiten Schaltzentrale des Nationalsozialismus aus- und umgebaut wie mit Bunkern ausgehöhlt hat. Kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges wurde der Obersalzberg von den Alliierten mit 1.300 Bomben in Schutt und Asche gelegt, von den Gebäuden der Nazizeit ist nichts mehr zu sehen. Ein Dokumenationszentrum bietet am historischen Ort die Möglichkeit, sich mit der Geschichte des Obersalzbergs und der Geschichte des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Hier dichtes Gedränge zu erleben ist da schon mehr willkommen als auf den Bergspitzen – zeigt es doch, dass auch mehr als 70 Jahre danach viele Menschen sich mit der Historie bereitwillig auseinandersetzen. Wenngleich es heute zunehmend Menschen zu geben scheint, die dies ignorieren oder nichts mehr davon wissen wollen und wieder „braunes“ Gedankengut als gesellschaftsfähig erachten und leben. Erschreckend, aber wahr.

das Kehlsteinhaus - erbaut im Auftrag von Adolf Hitler. Heute mit das beliebteste Ausflugsziel im Berchtesgadener Land

das Kehlsteinhaus – erbaut im Auftrag von Adolf Hitler. Heute mit das beliebteste Ausflugsziel im Berchtesgadener Land

Wer übrigens meint, das Kehlsteinhaus sei nur wegen seiner exponierten Lage oberhalb von Berchtesgaden ein so „tolles“ Ausflugsziel: weit gefehlt. Der Berg ist 1937/38 auf Geheiß von Hitler zu einer Art „Festung“ regelrecht „umgebaut“ worden. Noch heute kommt man nur zu Fuß bis ganz nach oben – oder per Busfahrt (14,60 Euro pro Nase sind auch hier kein Pappenstiel). Die letzten Meter bis rauf zum Kehlsteinhaus erlebt man per Durchwandern des Tunnels in das Bergzentrum mit der Auffahrt der letzten 134 Höhenmeter per Fahrstuhl aus der nationalsozialistischen Zeit im originalen Design – nur die Technik, die wurde immerhin auf das heutige Niveau gebracht.

Panormaablick vom Kehlsteinhaus Richtung Salzburg (Österreich)

Panormaablick vom Kehlsteinhaus Richtung Salzburg (Österreich)

Berchtesgaden

Berchtesgaden „mit Herbstwetter“ vom Hang des Kehlstein aus gesehen

Hunger und Durst muss jeder stillen – wenn es in der Ferienwohnung passiert, leisten die Supermärkte der Region ausreichend Hilfe beim Befüllen des Kühlschrankes, oder heute bleibt die Küche kalt – die Gäste gehen in … ja da wird´s schwierig. Die Preise sind touristisch abgehoben – und wer mit EC-Karte oder gar Kreditkarte zahlen will … der hat vielfach sprichwörtlich ganz schlechte Karten. „Nur Bares ist Wahres“ – griechische Verhältnisse!? Sehr negativ aufgefallen ist uns Berchtesgadens „älteste“ Wirtshaus, das „Bier Adam“ im Stadtzentrum: Das durchaus nette Personal legt am Schluss lediglich einen Schmierzettel ohne Herkunftsnachweis mit Zahlenkolonnen hin – die Frage nach der Kartenzahlung wird heftigst verneint – und verlangt man höflich in Folge dessen wenigstens nach einem Bewirtungsbeleg, wird die Rechnung auf einmal 10 Euro teurer. Dass einem die sauren Lüngerl nicht geschmeckt haben, die Schweinshaxenkruste „lätscherd und an der Oberfläche schwarz gebrannt“ war und man zur Verdauung mehr als einen Schnaps brauchte – wird erfolgreich trotz Erwähnung zu Ungunsten des Gastes ignoriert. Durchaus loben können wir im Gegenzug dass Hofbräuhaus Berchtesgaden – Kartenzahlungen aller Art kein Problem, die Speisen bayerisch zünftig und in vernünftigen Größen, sehr aufmerksames Personal welches absolut auf Zack ist! Zum verdauen der eine oder andere Enzian aus der örtlichen Traditionsbrennerei „Grassl“, der Abend ist gebongt!

die Wallfahrtskapelle Maria Gern mit Watzmann

die Wallfahrtskapelle Maria Gern mit Watzmann

Die schönen wie absolut sehenswerten Seiten der Region erfasst man also heutzutage nicht unbedingt zur Hauptsaison: Neben der geräucherten Forelle aus dem Königssee im Fischerhaus gegenüber von St. Bartholomä und der obligatorischen Wanderung zur Eiskapelle (bitte nicht in Turnschuhen oder gar in Schuhen mit Absätzen ansteuern!!!) vielleicht noch etwas (nur mit Kondition & Bergschuhen machbares) Bergsteigen rauf an Deutschlands Kältepol, dem Funtensee? Für die Flachlandtiroler in Sandalen und Turnschuhen sei der auch für Gehbehinderte gut ausgebaute Rundweg um den Hintersee bei Ramsau empfohlen (Foto siehe am Ende des Berichtes). Last but not least hat der Herbst rund um Berchtesgaden ein buntes wie farbenfrohes Blätter- und Lärchennadelspektakel zu bieten – man kommt aus dem Fotomachen (ohne Mitmenschen) schier nicht mehr heraus…

die Roßfeld-Panoramastraße mit dem "Hahnenkamm"

die Roßfeld-Panoramastraße mit dem „Hahnenkamm“

Alternativ kann man das grandiose Rundum-Panorama der (mautpflichtigen) Roßfeldstraße oberhalb des Obersalzberg genießen, die Wimbachklamm erforschen, die Wallfahrtskirche Maria Gern besichtigen oder in der Watzmann-Therme von Berchtesgaden die müden Wanderfüße entspannen. Last but not least ist bei Schlechwettertagen eine Führung durch die o.g. Enzianbrennerei Grassl Pflichtprogramm – hinterher wird gerne und viel verkostet und genauestens erklärt, wieviel Alkohol man wirklich „prozentual“ trinken kann und darf, bis die Polizei sagt „genug ist´s, her mit den Papieren!“.

perfekt für Reflexionen - der Hintersee bei Ramsau mit Blick auf das Watzmann-Bergmassiv

perfekt für Reflexionen – der Hintersee bei Ramsau mit Blick auf das Watzmann-Bergmassiv

Wer ein wenig ab vom Trubel der Orte seine Ruhe genießen will – hier bieten viele kleinere Pensionen auf der „grünen Wiese“ oder auch Bauernhöfe in der Region Übernachtungen in den unterschiedlichsten Qualitätsstufen an – wir können an dieser Stelle gerne die Familie Staudinger auf dem Bio-Bauernhof Perlerlehen empfehlen! Aber aufgepasst – 8 bis 10 Stunden Nachtschlaf sind hier in frischer Bergluft nach Tagen mit vollem Tourismusprogramm problemlos möglich!

© Text und Fotos Hans-Martin Goede 29.10.2017 – gerne erfragen Sie weiteres hochauflösendes Bildmaterial aus unserer umfangreichen Datenbank, wir lizensieren Ihnen gerne gewünschte Motive. 

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